Gochnins Tage waren gezählt - 04.12.2003
Murbi, Zefania und Muadib hatten dem Ereignis im Stadtschlosssaal schweigend zugesehen. Algonthir, der sich tapfer gegen die Anschuldigungen des Currags behauptet hatte und schließlich durch die unerwartete Hilfe des Elverras Methar'Ei von seinen nicht begangenem Verbrechen freigesprochen wurde, stand neben Winnita der Roten, die abermals an der Rettung des Lebens vom Pferdeflüsterer beteiligt war.
Der Krieg war vorüber. Allerdings zogen genau in diesem Moment über zweitausend Wilde unter der Führung Gochnins dem Drachenreiter in Richtung Irar, um die ungeschützte Stadt einzunehmen und das Ziel, den Stern von Yido zu finden, zu erreichen. Genau deswegen war Oberfeldmarschall Bridi Skjard sehr aufgebracht und forderte den schnellen Aufbruch seiner Mannschaft und der Truppen, die jedes Wachschaftstum oder gar die Barbaren aufstellen und entbehren konnten. Der Garnisonsführer setzt für den kommenden Tag bei Sonnenaufgang eine Ansprache vor der Stadt an, zu der jeder, der sich noch in der Lage fühlte, ein Schwert zu schwingen, erscheinen sollte.
Am Abend des ersten Tages nach der Schlacht wurde trotz alledem noch einmal kräftig gefeiert. Wuselwort, der den Schlüssel zur Taverne "Zum bunten Specht" in gewisser Weise erworben hatte, veranstaltete ein Fest für jeden, der kommen mochte.
Muadib brachte die fünf letzten Zwerge mit, die einst du den dreiundsechzig kleinen Kriegern gehörten, die er und Gothol von Irar ausgeschickt hatten. Mit ihnen kam ein Skalde der Garnison Kildare, Barri, der den Auftrag hatte, über die Geschichte und das Schicksal der fünf Zwerge und ihrer gefallenen Kameraden ein Lied zu schreiben. Bald würde aus seiner Feder die melodiöse Heldensage "Von dreiundsechzig Zwergenfürsten" entstehen, in der jedes Wort eine ehrenhafte Widmung an die Gefallen sein wird.
Murbi tauchte in Wuselworts neuer Schenke zusammen mit der Barbarenführerin Elizabeth und einigen ihrer Oberen der Schar aus Battar auf. In gewisser Weise nahm sich der Krieger der Roroch der Elfe an, die ihn stets mit überlegten aber auch verlorenen Blicken bedachte. Murbi wusste um seine Aufgabe, denn für Irar war es wichtig, dass die Barbaren wenigstens einen Teil ihrer Streitkräfte tiefer in die Freien Ebenen schickten. Er übte sich in Bekehrungen, um Elizabeth von der Wichtigkeit ihrer Person und ihrer Truppen zu überzeugen.
Algonthir war mit Winnita, die ihm mittlerweile dreimal das Leben gerettet oder zumindest erleichtert hatte, im Wirtshaus. Wuselwort bereitete beiden ein Festmahl in einem abgeschiedenen Zimmer, wo sie sich über mehrere unwichtige aber auch wichtige Dinge unterhielten. Später kehrten beide in den Schankraum zurück, um der feiernden Gesellschaft beizuwohnen.
Zefania kehrte mit sieben der acht Bogenschützen ein, die sich am Vortag auf der inneren Mauer zusammengerauft hatten, um mit ihren todbringenden Pfeilen, die Riesen zu überwältigen. Ein Schütze musste im Tumult und der Unübersicht gefallen sein. Die Trauer um ihn war kurz aber intensiv.
Alle zusammen tranken und aßen sie. Wuselwort bediente mit ungeahntem Geschick und seine Gäste erfreuten sich seiner Gastfreundschaft und dem leckeren Schmaus, den er aufgetischt hatte.
Irgendwann traten auch die Oberfeldmarschälle Skjard und von Hammern über die Schwelle des Spechtes. Sie erhielten einen Tisch und baten die Abenteurer, an ihrer Tafel platz zunehmen. Es gab Neuigkeiten: Die Boten, die ausgeschickt wurden, um die Lage zu erkunden und Nachrichten zu verteilen, waren alle wiedergekehrt.
Der Bote, der nach Süden ausritt, um das Volk Kildares zurückzuholen, kehrte als erstes wieder und berichtete, dass die Bevölkerung auf dem Weg nach Hause war und bald wieder in der Stadt ankommen sollte.
Am Nachmittag kam der Bote zurück, der die Wilden, die in Richtung Irar unterwegs waren, verfolgte. Er teilte schlechte Kunde mit. Gochnin hatte seine Männer zu einem Eilmarsch angespornt. Die Wilden waren mit schnellem Fuß und großem Eifer unterwegs. Gochnin musste wissen, dass hinter ihm die ganze Streitmacht der nördlichen Ebenen war und vor ihm eine wehrlose, leicht zu erobernde Stadt lag.
Der dritte Bote, der nach Argmund geschickt wurde, kehrte erst vor wenigen Augenblicken wieder und berichtete, dass kein lebender Riese und kein atmender Wilder mehr in der Stadt der Zinnen hauste. Er hatte sie alle tot vorgefunden. Die wenigen Riesen und die Hundertschaft Wilde, die von Gochnin zum Halten der Stadt zurückgelassen worden waren, mussten von gnomischen Kriegern überfallen worden sein. Der Bote erzählte, er habe etwa zehn tote Gnome mit Fellen bekleidet und Streitkolben bewaffnet gefunden. Wuselwort wusste genau, was das bedeutete. Die Gnome hatten zum Krieg geblasen - zumindest jene unterm Belgaberg, die von einer solchen Tat überzeugt waren. Die Felle waren die traditionelle Kriegerkleidung zu dieser Jahreszeit und der Streitkolben ist die erste Waffe der gnomischen Kriegerkaste des Volkes zu Füßen Altbattars.
Außerdem, erzählte der Kundschafter, lagerten zwei Dutzend riesige Karren vor den Stadtmauern, die mit großen Steinblöcken beladen waren. Die Gnome hatten selbst an den Wiederaufbau der Stadt gedacht und, wer weiß wie, diese gigantischen Wagen von den Hügeln hinab zum Fluss gebracht.
Die Nachrichten forderten neue Eile in der Aufstellung der Truppen, die die Wilden verfolgen sollten - viele Reiter mussten gefunden werden - brachten aber auch Sicherheit, da kein einziger Frostriese mehr im Rücken der Streitkräfte zu erwarten war.
Noch bevor sich die Gesellschaft auflöste, entschloss Zefania ihre Künste als Schleicher und Unsichtbarer auszunutzen, um das zu suchen, was sie auch schon am Vortag suchte. Sie wollte den Dolch finden, den der Currag Jorlach von Nord ihnen vor der Schlacht zeigte und der angeblich die Mordwaffe sein sollte, mit der Artur lont Mengard von einer Person, die aussah, wie Algonthir, getötet wurde.
Zwar war ihr Freund, der Elf, freigesprochen wurden, aber es irritierte sie, dass jener Dolch genau so aussah, wie der, den Algonthir bei sich trug und den er mit dem Namen Lichtdolch betitelte.
Die Halbdrachenfrau brach in das Haus des Currags ein, der abwesend war und fand nur ein einfaches Messer mit einer schimmernden Klinge, auf der in schlechter elfischer Schrift Algonthirs Name geschrieben stand. Das war nicht der Dolch, den Jorlach ihr und Murbi gezeigt hatte. Er musste woanders sein oder er war gar verschwunden.
Der Hass der Helden dem Currag gegenüber stieg. Zefania traute keinem seiner Worte, Algonthir konnte nicht begreifen, dass niemand im Volk etwas gegen diese verschmutzte Seele sagte und Murbi wollte ihm am liebsten den Hals umdrehen. Sie sollten ihre Gelegenheit bekommen.
Als jene drei der Abenteurer die Nacht abermals im Stadtpark verbrachten, erwachte Algonthir, als jemand versuchte seinen linken Waffenarmreif zu stehlen. Zwei finstere Augen blickten ihn gierig an. Dann wichen sie zurück. Der Currag, in lumpige Kleider gehüllte, stand mit einem Dolch in der Hand da und drohte dem Elf, er solle den Lichtdolch rausgeben, oder er würde sterben. Seine bedrohlichen Gesten wurden von Wahnsinn begleitet, der ihn immer wieder zu raschen Bewegungen und rachsüchtigen Wortfetzen zwang.
Durch eine schnelle Reaktion des Waldläufers und des Barbaren in einem unaufmerksamen Augenblick des Stadtoberhauptes, war der Currag in wenigen Augenblicken gefesselt und wehrlos. Zefania alarmierte Oberfeldmarschall Küsterschlag von Hammern, der sogleich erschien und den Currag in Gewahrsam nahm, als sich plötzlich eine seichte männliche Stimme erhob, die durch die Dunkelheit drang.
Hinter einem Baum trat der Hulthpriester Freud hervor. Er hatte alles mit angesehen und sagte, dass heute Nacht das passiert war, was dem Currag irgendwann sowieso widerfahren wäre. Er hätte den Tod verdient, erklärte der Gläubige Algonthir.
Seine Gedanken wären jetzt wieder klarer, erklärte der Gottesmann. Er müsse unter einem Zauber gestanden haben, als er diese Frau - Taithleach - duldete und die Tyrannei des Currags ohne Augenzwinkern gestattete.
Jorlach von Nord wurde in den Kerker gesteckt, in dem er wortlos zusammenschrumpfte und sich still in eine Ecke verzog. Er hatte noch gesagt, dass Taithleach noch in der Nähe sei, aber eine nächtliche Suche nach der Frau sollte nichts ergeben.
War das Oberhaupt Kildares damit gestürzt? War Jorlach nur Geisel eines stärkeren Willens oder wurde er in seinen Taten aus der Liebe zu Taia heraus inspiriert? So zumindest, erläuterte er sein Vorgehen, das ihm immer noch als gerecht und zweifelsfrei erschien.
Am nächsten Morgen versammelten sich auf dem Schlachtfeld vor der Stadt alle Krieger, die den Kampf vor zwei Tagen überlebt hatten. Die Bogenschützen Kildares, die Schwertkämpfer Irars, die Barbaren und sämtliche Freiwillige waren gekommen, um die Worte der Militärführung Irars zu hören.
Der Oberfeldmarschall trug eine ergreifende Rede vor, die erinnern, aber auch auffordern sollte. Er widmete dem gefallenen Zwerg Gornt das Schlachtfeld und taufte die von Blut bedeckten Äcker mit dem Namen "Felder von Gornt". Er dankte allen Völkern, die mithalfen, die Riesen niederzuringen und er forderte all jene auf, die noch Kraft in den Gliedern hatten, sich für die letzte Schlacht gegen die Wilden zu wappnen, die unaufhaltsam nach Westen zogen.
Am Ende konnte er der Hilfe seiner eigenen Truppen, einer großen Zahl der Truppen Kildares, der Hilfe der Barbaren und der Hilfe vieler Freiwilliger gewiss sein. Sie alle schenkten dem Frieden der Freien Ebenen ihr Leben und sammelten sich am Mittag nahe der westlichen Stadtmauer, um nach Irar zu ziehen.
Das Reitervolk sollte die Wilden überholen und vor ihnen in Irar sein, um die Stadt zu stärken. Die Fußtruppen, sollten dem Feind schließlich in den Rücken fallen und ihn endgültig zu Fall bringen.
Der Zug zum letzten Kampf begann.
Der Reitertrupp setzte sich schon in der ersten Stunde von den Fußtruppen ab und zog über die Ebenen des Nordens dahin. Immer auf der Hut vor Spähern ritten sie stetig nach Westen, um Gochnins Truppen einzuholen, zu umrunden und in Irar mit ihrer Stärke zu überraschen.
Alle Planung war schon bald nicht mehr nötig, als Zefania ein Ziehen im Genick spürte und kurz darauf ein alliierter Späher den Hügel herab geritten kam und den Feldmarschällen verkündete, sie müssten es sich selbst ansehen, was sich hinter dem Kamm abgespielt hatte.
Als der Reitertrupp über den nächsten Hügelrücken ritt, blickten sie auf ein Bild prächtiger Grazie und gleichzeitig unvorstellbarer Grausamkeit. Noschint, der Reitdrache Gochnins, labte sich an der Seite eines riesigen weißen Drachen an tausenden toten Wilden, die im Tal zwischen den brennenden Häusern eines kleinen Dorfes und zwischen Eis und Schnee ihren Tod gefunden hatten. Noitatlusnog, fuhr ein Gedanke Muadib durch den Kopf. War der riesige Wyrm, der den kleinen Weißen befreit hatte, der Drache Amuns, dem die Gefährten einst im Turm des Windes begegnet waren? Er musst es mit Sicherheit sein.
Die zwei Echsen rissen die toten Leiber der Wilden auseinander und schritten erhaben um eine riesige steinerne Lanze, die in Mitten des Feldes fast aufrecht im Boden steckte. In ihrer Mitte hing ein lebloser Leib überzogen von einer feinen Schicht Eis und durchbohrt von dem mächtigem Granit der Waffe - Gochnin, Kopf des Frostriesenkrieges war tot und fand sein Ende sicherlich unerwartet und schnell vor.
Die Drachen hoben schon bald vom Schlachtfeld ab und genossen ihren Siegeszug in einem großen Bogen am Himmel. Still und mit eisigen Flügelschlägen zogen sie davon.
Die Reiter Kildares fanden nichts anderes vor, als sie schon von weiten gesehen haben - einzig Eis und Tod war zwischen den seichten Hügeln zu entdecken.
Später, die Leiber der Wilden wurden verbrannt, nur der riesige Speer blieb in Mitten des verbrannten Dorfes stecken, ritten die Gefährten mit dem Trupp weiter nach Kildare. Kundschafter ritten voraus, um die Nachricht vom Tod der Kriegstreiber zu überbringen und den Kämpfern einen gebührenden Empfang zu sichern.