Immer Richtung Norden - 29.07.2002

Algonthir und Vychar zogen sich mit dem leblosen Leib Ciardas zurück. Hinter dem Tor im Norden lauerte der Feind. Er griff zwar nicht an, aber eine dunkle, unsichtbar Klaue tastete nach den Wanderern.
In einer Felsspalte versteckt, in der Ciarda damals niedergeschlagen wurde, taten die beiden Freunde das, was ihnen jetzt noch übrig blieb. 'Wenn ihr einmal in großer Not seid und Können und Glück euch nicht mehr weiter helfen, nehmt dieses Kästchen und öffnet es behutsam. Ihr werdet ein Wunder erfahren.'
Algonthir ergriff sein kleines Kästchen aus schwarzem, glatten Stein, daß er damals von Siolta, dem Vater des Echsenstammes der Rhys erhalten hatte und öffnete langsam den kleinen Deckel. In der Felsspalte verschlang eine undurchdringliche Stille jegliches Geräusch und für einen kurzen Augenblick vergaßen die beiden Lebenden all ihre Gefühle. Plötzlich sprang aus dem Inneren des Geschenks ein blauer Schein, der aufstieg und stil in der Luft tanzte. Mit einem kurzen Zucken fuhr er Ciarda in den offenen Mund und verschwand - wieder Stille.
Mit einem Mal holte die eben noch tote Zwergin tief Luft und ihr Oberkörper hob sich. Den steifen Rücken weit durchgebogen verzog sich das schroffe Gesicht zu einer krampfhaften Miene und entspannte sich sogleich wieder. Ciarda lebte. Die Atmung war schwach und das wackere Herz schlug langsam, aber sie lebte wieder. Siolta hatte Recht behalten und sein Versprechen war noch eines der wenigen wahren in dieser Welt.

Auf der anderen Seite des Tores spürte Muadib eine steife Unbeweglichkeit, als er aus der Ohnmacht erwachte. Er war gefangen. Der Postenführer der Orks, Ishirâg, hatte ihn in das Lager hinter das Tor gezerrt und gefesselt. Doch er war nicht allein. Neben ihm blinzelte schwach und hoffnungslos eine junge Frau, eine Halbelfin in die Leere. Leolonar, als die sie sich später vorstellte, hatte das selbe Schicksal ereilt, wie den tapferen Paladin. Die Gefangenschaft war das gemeinsame Los beider.
Ishirâg tauchte hin und wieder in der Hütte auf. Er hatte Muadib alles abgenommen, was er besaß. Den Dolch mit der dunklen Klinge, sein Hab und Gut - er dachte wieder an sein Schwert. Die Klinge Islurs zersprang in seiner dunkelsten Stunde vor dem Tor des Lagers. Vielleicht brach dadurch auch sein Wille.
Der Ork war erbost über die Taten der Wanderer und wünschte ihnen den Tot. Er rief nach seiner Herrin. Sie war es, vor der sich die beiden fürchten sollten. In der kommenden Nacht werde sie auftauchen, verprach der Hauptmann.
Aber den beiden gelang die Flucht und auf einem Pferd rasten sie weiter in das Gebirge hinein. Sie wußten, daß bald schon die Feinde auf ihrer Spur sein würden, doch durch Witz und Geschick entkamen sie den wütenden Orks. Leolonar berichtete von einem weiteren Tor im Norden, was für beide bedeutete, daß sie aus der Gefangenschaft der Hütte entkommen waren, aber sich noch lang nicht in Sicherheit wiegen konnten. Ihr Versteck im Gebirge blieb für einen Tag ihr engster Freund.

Algonthir, Vychar und auch Ciada erholten sich in der folgenden Nacht und wollten anschließend wieder zum Tor reiten, denn die Reise konnte nur gemeinsam, mit Muadib, gelingen.
Am Tor sahen sie dann die bis dahin unsichtbare Klaue, die nach allem griff. Eine Gestalt, begleitet von zwei Dienern, trat ihnen mit Erhabenheit entgegen. Lia, die Wanderin, die mehrere Tage von der Gruppe mitgenommen wurde, war Taia, Taithleach, deren Name schon weit eher auf der langen Reise gefallen war und die nun nach den Abenteurern verlangte.
Sie trachtete nach dem Dolch der Erde, den Vychar bei sich trug. Doch sie wurde angegriffen - von allen, die ihr gegenüberstanden. Doch sollte die scheinbar zahlenmäßige Überlegenheit nicht mit einer Übermacht gleich zusetzten sein, denn Taia erhielt den Dolch ohne Kampf, wenn sie vielleicht auch hätte kämpfen können.

Pass Vychar, der der Begegnung vielleicht nicht ganz ungeschoren entkommen war, sprach plötzlich für die Fremde. Sie habe ihre Gründe und das Gute begleite sie, versprach er seinen Begleitern und tut es immer noch. Sollte der weise Magier zu einer Überzeugung gekommen sein, die noch keiner der anderen begriffen hatte?
Taithleach schloss mit Vychar einen Handel. Für die Gabe des Dolches sollte Muadib wieder frei gelassen werden, der hinter dem großen Tor gefangen war ... war er das? Vychar willigte ein.
Am Tor zurück, erhielt der Halbelf Zugang zum Lager, doch Muadib, der Ritter Surias, war nicht da. Taia, wie Vychar die Fremde jetzt nannte, versprach ihm, der Paladin habe sich auf dem Pass nach Norden aus Furcht versteckt und Vychar könne ihn suchen, wenn er das wolle. Denn Taia hält ihr Wort, das sagte sie ihm. Vychar war enttäuscht aber mit Nichten von seiner neuen Überzeugung die neue Bekanntschaft betreffend abgebracht.
Durch Schauspiel und mit Geist gelangten auch Algonthir und Ciarda hinter den großen Zaun von Holz und dort fanden sie Muadib heimlich und versteckt im Fels. Vychar schwieg, denn die alten Freunde waren seine Freunde geblieben.
Leolonar, die sich als brillante Fälscherin herausstellte, verschaffte allen einen Zugang durch das erste Tor und brachte es selbst fertig, einen Pass für die Durchreise durch den Nordausgang zu schreiben. Die Wanderer entkamen dem scheinbaren Gefängnis.

Nun stehen die mittlerweile fünf Wanderer hinter dem Tor im Norden. Das Gebirge fällt vor ihnen ab und am Horizont, etwa einen Tagesmarsch nach Nordwesten, wächst ein Turm aus der schwarzen Erde, dessen Kopf schwarze Wolken krönen, aus denen Adern gleich, blaue Blitze lautlos in den Boden fahren - Ziel oder Verhängnis?




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